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Endlich eine Lösung für Generationen finden: Bleiberecht für Roma in Deutschland. Veranstaltung zur Petition

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Endlich eine Lösung für Generationen finden: Bleiberecht für Roma in Deutschland. Veranstaltung zur Petition

22.11.2016. Das Plenum begann um 12 Uhr und fand in der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Franz-Mehring-Platz 1, Berlin) statt. Teilgenommen haben ca. 60 Personen.

Endlich eine Lösung für Generationen finden lautet der Titel der Veranstaltung zur gleichnamigen Petition, die dieses Jahr ins Leben gerufen wurde. Mit Generationen sind ebenjene Roma und Romnja gemeint, die seit Jahrzehnten ein Leben zwischen Duldung und Abschiebung in die sogenannten sicheren Herkunftsländer führen. Aber auch all jene, die sich im Teufelskreis zwischen Aus- und erneuter Einwanderung befinden und, aufgrund der desolaten Lage in den Ländern Ex-Jugoslawiens, ständig neue Migrationsstrategien finden müssen. Oft verbleiben sie in diesem Status quo – ohne jegliche Sicherheit und grundlegende Versorgungsinfrastrukturen in Serbien, Mazedonien, dem Kosovo oder Bosnien-Herzegowina. Die Lage vor Ort in den vermeintlich demokratischen Ländern ist für Roma und Romnja nicht selten lebensbedrohlich. Es mangelt an allem: Wohnungen, Bildung, Gesundheit und vor allem Sicherheit. Darüber hinaus sind Angriffe und nicht selten Tötungsdelikte an der Tagesordnung.

Besonders verletzlich erscheinen jene, die in den Kriegen der 1990er Jahre, nicht zuletzt während der NATO-Bombardements 1999, häufig enteignet wurden und ohne gültige Dokumente zwischen den Ländern und Institutionen gefangen sind. Sie stehen im Zugang zur Infrastruktur noch weit unter der eh prekären Minderheitenmehrheit der sesshaften Roma und Romnja. Diese und andere Themen wurden in der Diskussionsrunde behandelt.

Begrüßt wurden die Diskutierenden durch Dr. Massimo Perinelli von der Akademie für politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Perinelli weist darauf hin, dass die RLS bereits mit Roma-Verbänden zusammengearbeitet hat und dass eine gemeinsame Organisation aufgrund der aktuellen politischen Lage (Asylrechtsverschärfung etc.) wichtig sei.

Die Diskussion unter Moderation der Wissenschaftlerin Isidora Randjelović (u.a. IniRromnja), unter Teilnahme des Filmemachers und RAN-Projektleiters Kenan Emini, der Anwältin für Ausländer- und Sozialrecht Nizaqete Bislimi (Vorsitzende des BRV), der menschenrechtspolitischen Sprechen der Parte Die Linke Annette Groth sowie den Aktivisten und Künstlern Selami und Kefaet Prizreni (Roma Art Action) sollte ebendiese Lage beleuchten. Untermalt wurde das Ganze von filmischen Ausschnitten, die ‚zurückgekehrte’ Roma mit der Rede Thomas de Maizières kontrastieren. ‚Sicher’ ist lediglich ein Leben in Elend unter ständiger Androhung von Gewalt. Die neu eingerichteten Rückführungslager untergraben jegliches Individualrecht auf Asyl. Den historischen Kontinuitäten, der Verfolgung und Internierung, wird damit kaum etwas entgegengesetzt.

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  1. Randjelović erläutert zunächst die Situation, dass weitere Politiker_innen, die in Menschenrechtsausschüssen vertreten sind, eingeladen worden waren, jedoch nur eine Politikerin (A. Groth) der Einladung gefolgt ist. Für sie spiegelt die fehlende politische Repräsentation die einsame Lage wider, in der man sich auf Veranstaltungen zum Thema Bleiberecht generell befinde. Anschließend geht sie auf das Thema Integrationsgipfel ein, zu dem der BundesRomaVerband (BRV) eingeladen worden war, eine Teilnahme in einem öffentlichen Brief jedoch abgesagt hat.
  2. Bislimi, die Vorsitzende des BRV, dankt der RLS für ihre Einladung. Sie geht kurz auf die Begründung zur Absage an den Integrationsgipfel ein: Die Politik der Regierung sei darauf ausgerichtet, Menschen, für die wir uns einsetzen, von Partizipation auszuschließen, sie richte sich also auf Desintegration.

Sie erläutert den Hintergrund der Veranstaltung: Zum einen wurden Schnellverfahren u.a. für Roma vom Balkan eingerichtet, wodurch angemessene Anhörungen und das individuelle Recht auf Asyl unterwandert werden, und zum anderen wurden die sicheren Herkunftsstaaten konstruiert, die in keinerlei faktischem Zusammenhang mit der Menschenrechtslage vor Ort stehen. In Folge dieser politischen Maßnahmen kam es zu einer Kategorisierung von Geflüchteten in solche mit hoher und solche mit niedriger Bleiberechtsperspektive. Für letztere seien die Schwerpunkt-Einrichtungen mit Pro-Forma-Verfahren eröffnet worden, die eine schnelle Abschiebung ermöglichen und den Menschen eine Teilhabe an elementaren Dingen wie Arbeit, Schule oder rechtlicher Beratung verweigere. Die Unterteilung in gute und schlechte Geflüchtete werde in gesellschaftlichen Diskursen fortgeführt.

  1. Bislimi betont außerdem die historische Verantwortung Deutschlands.

Der Teufelskreis aus Abschiebung und Zurückkehren von Roma vom Balkan müsse gestoppt werden. Daher hat der BRV eine Petition gestartet, nach der auch die heutige Veranstaltung benannt worden ist: Endlich eine Lösung für Generationen finden.

Selami und Kefaet Prizreni: Die beiden Brüder sind in Deutschland aufgewachsen (der jüngere ist hier geboren) und wurden mit Anfang 20 ins Kosovo abgeschoben. Von der Geschichte ihrer Abschiebung bis zu ihrer Wiederkehr handelt der Film Trapped by Law  des Regisseurs Sami Mustafa. Aus erster Hand können die Prizrenis von der Situation berichten, in der sich Roma nach ihrer Abschiebung befinden: Es gab 2010 keine Einrichtungen vor Ort, keine erste Hilfe, man sei auf sich allein gestellt gewesen. Ein großes Problem stellt für die in Deutschland Aufgewachsenen die Sprachbarriere dar („Man steht wie im Wald“, sagt Selami): Schule, Arbeit und das Aufbauen einer Existenz ist für Roma unmöglich. „Wir mussten selber gucken, wie wir klarkommen.“

Auf die Frage, wie sie den Rassismus vor Ort erlebt hätten, antworten sie, zunächst seien sie wie Touristen behandelt worden. Abends könne man nicht rausgehen, Selami ist überfallen worden. Der Rassismus in der Gesellschaft spiegele sich z.B. darin, dass man keine Wohnung bekomme oder nicht in den Bus gelassen werde, weil man Rom ist. Die beiden sind während ihrer Zeit im Ausland auf der Suche nach Arbeit durch fünf Länder gereist und schließlich per Fußmarsch zurück nach Deutschland gekommen.

In Trapped by Law wird erzählt, was mit in Deutschland sozialisierten Roma passiert, die abgeschoben werden. Man werde nirgends angenommen, man könne sich ansehen, wie man Institutionen und Perspektivlosigkeit ausgeliefert sei. „Wir erhoffen uns Solidarität. Wir konnten sowohl auf dem Balkan als auch in Deutschland aufzeigen, dass wir nicht willkommen sind.“ Die beiden sollten 2015 wieder abgeschoben werden, ihr Bruder kämpft seit einem Jahr gegen seine Abschiebung. Zwei der drei Brüder haben am 1. Dezember eine Anhörung vor dem Landtag in Düsseldorf.

Kenan Emini zeigt seit diesem Jahr deutschlandweit (und darüber hinaus) seinen Film The Awakening, in dem es um die Situation von Kindern und Jugendlichen geht, die abgeschoben wurden oder davon bedroht sind. Er kritisiert nochmal die Abwesenheit der eingeladenen Politiker_innen und merkt an, dass sie eine Vertretung hätten schicken können. Was in Deutschland mit Roma passiere sei unmenschlich. Moralische Unterstützung allein würde nicht ausreichen. Aus diesem Grund wurde beispielsweise auch 2009 die Kampagne ‚alle bleiben!’ initiiert.

Seit 2009 gibt es regelmäßige Abschiebungen in die Balkanländer, und K. Emini hat Recherchereisen dorthin unternommen. Durch Kriege sind viele Menschen von dort vertrieben und ihre Strukturen vor Ort zerstört worden. Er erläutert den Kreislauf aus Abschiebung und Rückkehr und betont, dass es für Roma keine sicheren Herkunftsländer gebe. Außerdem gebe es seitens der Bundesregierung eine historische Verantwortung. Diese ergibt sich zum einen aus dem Völkermord an Sinti und Roma während der NS-Zeit und zum anderen aus dem Kosovo-Krieg, durch den der Westen eine neue Vertreibung unterstützt hat.

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Es wird ein Filmclip gezeigt, der den Widerspruch aus deutscher Politik (repräsentiert durch eine Rede des Innenministers de Maizière zur Einstufung der Balkanländer zu sicheren Herkunftsstaaten) und Realität der Roma-Kinder im Kosovo (Ausschnitte aus The Awakening) verdeutlicht.

 

  1. Emini wirft folgende Fragen auf: Wie kommen wir angesichts dieses Mangels an Solidarität mit unseren Forderungen weiter? Wie kommt es, dass Politiker_innen nach wenigen Tagen entscheiden, dass diese Länder sicher sind (unsere langen Recherchereisen haben das Gegenteil bewiesen)?

Im Mai 2016 haben von Abschiebung bedrohte Roma das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti Europas besetzt. Insbesondere die Öffentlichkeit sollte für dieses marginalisierte Thema sensibilisiert werden. Zu diesem Zweck sollte es eine Pressekonferenz geben, und man hatte auf weitere Unterstützung gehofft. Stattdessen hagelte es von allen Seiten Kritik, und es wurde von der Polizei geräumt. Es gibt hier keine Unterstützung und keine Strukturen für Roma, so Emini, Europa müsse sie endlich anerkennen, aber niemand zeigt Verantwortung dafür.

Die Politikerin der Partei Die Linke im Bundestag, Annette Groth, fordert Bleiberecht für Roma aus humanitären Gründen und fragt sich, warum es kein historisches Bewusstsein/ Schuldbewusstsein gebe. Sie bedauert, dass andere Politiker_innen nicht an der Veranstaltung teilgenommen haben und fragt sich, warum sie sich nicht für die Thematik einsetzen, obwohl es selbst in der CDU solche und solche gebe. Menschenrecht sei nicht mehr auf der Tagesordnung, und das sei falsch. Als „ganz gefährlich“ und „ganz falsch“ ordnet sie die politische Tendenz ein, der AfD inhaltlich entgegenzukommen, um nicht noch mehr Stimmen an sie zu verlieren.

Zudem sagt sie, dass entsprechende Filme wichtig seien, um zu verstehen, wie die Situation vor Ort (Kosovo) für die Menschen sei. Delegationsreisen alleine reichen nicht, weil diese meist nur wenige erreichen.

  1. Randjelović fragt die Politikerin, wie wir zusammen arbeiten können, um die Thematik Antirassismus und Antikapitalismus wieder nach vorne zu bringen. Hintergrund bildet hier die prekäre Lage, in der sich auch arbeitende Roma und insbesondere Romnja befinden.
  2. Groth: Sie sei Internationalistin, entstamme der Dritte-Welt-Bewegung; Solidarität müsse wieder entstehen, „weil der Wind weht hart von rechts“, in ganz Europa. Kooperationen seien daher notwendig und Geflüchtete sollen politisiert werden. Legale Zugangswege in die EU seien die einzige Möglichkeit, da geschlossene Grenzen lediglich das Schleuserwesen beförderten. Sie habe selbst die Balkan-Route nachverfolgt.
  3. Randjelović: Wie können Sie uns konkret bei Dingen wie der Durchsetzung eines Winterabschiebestopps unterstützen?
  4. Groth antwortet, Geflüchtete und Menschenrechte seien nichts, womit man große Meriten verdiene und es sei wichtig, immer wieder auf das Problem der „sicheren Herkunftsländer“ aufmerksam zu machen.

Aus dem Publikum wird gefragt, wie eine Kooperation funktionieren könne und welche konkrete Unterstützung es geben könne. A. Groth möchte die Problematik in den Parteivorstand bringen. Leider scheuten sich viele, sich mit dem Problem auseinander zu setzen. Sie findet die historische Verantwortung sehr wichtig, und man müsse immer wieder die Forderungen stellen.

Pressespiegel zur Veranstaltung:

Berliner Morgenpost: https://www.morgenpost.de/politik/inland/article208770989/Verband-verlangt-Abschiebestopp-von-Roma-in-Balkanstaaten.html

Neues Deutschland: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1033042.roma-verband-startet-petition-fuer-bleiberecht.htmlRoma-Verband

Die Welt: https://www.welt.de/politik/deutschland/article159676158/Verband-fordert-Abschiebestopp-fuer-Roma.html

MiGAZIN: http://www.migazin.de/2016/11/25/nicht-roma-verband-abschiebestopp-balkan/

Ergänzung: Am 1. Dezember hat die Anhörung von Hikmet und Selami Prizreni im Düsseldorfer Landtag stattgefunden. Die folgende Anhörung soll am 30.1.2017 statt finden.

Ferner: Die Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung (South-East Europe) „Von wegen sicher. Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten in der Kritik“ ist ebenfalls im November erschienen: https://www.rosalux.de/publication/42788/von-wegen-sicher.html

 

 

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