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Stellungnahme zur Migrationspolitik der neuen Bundesregierung und zum geplanten „Chancen-Aufenthalt“

Stellungnahme zur Migrationspolitik der neuen Bundesregierung und zum geplanten „Chancen-Aufenthalt“

Mögliche Perspektiven oder weiterhin Aufenthalte auf Probe?

Der Bundes Roma Verband begrüßt die Weiterentwicklung des Aufenthaltsrechtes und die neu geschaffenen Möglichkeiten für viele langjährig Geduldete in der Bundesrepublik Deutschland. Der BRV kritisiert aber die Nichtbeachtung der Interessen und der Situation vieler in Deutschland lebender Roma. Aufgrund der Desintegrationspolitik der letzten Jahrzehnte werden Langzeitgeduldete es auch weiterhin schwer haben, die geforderten Bedingungen zu erfüllen. Gleichzeitig wird es Ausländerbehörden nach wie vor leicht gemacht, die neuen Möglichkeiten für schutzsuchende Roma nicht anzuwenden. Es braucht endlich ein Umdenken für den Umgang mit Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus.

Seit Ende der 1980er Jahre flohen Roma vor Krieg und Vertreibung in die Bundesrepublik Deutschland. Heute sind viele dieser Generation, ihre Kinder und Enkel:innen von Abschiebungen und zirkulärer Migration betroffen. Monatlich finden mehrere Sammelabschiebungen statt. Unter den Abgeschobenen sind viele Dauermigrant:innen. Wir hoffen, dass die neue Regierung erkennt, was die vorherige nicht erkannt hat: dass nur die Erteilung langfristiger Bleiberechte an dieser sich permanent wiederbelebenden Ausgrenzung etwas ändern kann.

Der Bundes Roma Verband setzt seit sich vielen Jahren für die Interessen von migrantischen Roma in der Bundesrepublik Deutschland ein. Aus dieser Perspektive ist es unser Anliegen, die Umsetzung der Empfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus in Bezug auf die deutsche Migrationspolitik für Roma zu unterstützen.

Die neu einberufene Unabhängige Kommission Antiziganismus (UKA) hat Ende März 2021 ihren ausführlichen Bericht vorgelegt. Demnach empfiehlt die Kommission zur Beendigung von dauerhafter Migration und zur Erlangung von Aufenthaltsrecht:

  • in Deutschland lebenden Roma aus historischen und humanitären Gründen als besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen,
  • die Kettenduldungen in Aufenthaltserlaubnisse umzuwandeln,
  • die Abschiebung von Roma sofort zu beenden,
  • die Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als pauschal „sichere Herkunftsstaaten“ rückgängig zu machen,
  • die Mitarbeiter:innen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und der zuständigen Verwaltungsgerichte besser zu qualifizieren, damit die Überprüfung der Entscheidungspraxis mit Blick auf die tatsächliche Situation der Roma in diesen Staaten und ihre kumulativen Verfolgungsgründe erfolgt,
  • die Wiedereinreise von denjenigen Roma zu ermöglichen, die trotz langjähriger  Aufenthalte, Geburt, Schulbesuch, Berufsausbildung oder -ausübung und trotz gesundheitlicher Hinderungsgründe und familiärer Verwurzelung in Deutschland abgeschoben worden sind,
  • Roma, die in Deutschland Opfer von antiziganistischer/ rassistischer Gewalt geworden sind einen gesicherten Aufenthalt anzubieten,
  • die Staatenlosigkeit von in Deutschland lebenden Roma durch Einbürgerung zu beenden,
  • eine rassismuskritische Ausbildung des Personals in Ausländerbehörden zu fördern und
  • zivilgesellschaftliche Organisationen zu stärken, die Menschen in ungesicherten Verhältnissen begleiten und so erst die Voraussetzung von Lebensperspektiven schaffen.

In Gesprächen mit Politiker:innen hören wir oft, dass die Sinti und Roma eine anerkannte Minderheit seien. Gemeint sind hier allerdings die mit deutscher Staatsbürgerschaft. Auch sie haben sich diese Staatsangehörigkeit und auch ihre Anerkennung erkämpfen müssen.

Die Migration von Roma aus den östlichen EU-Mitgliedsstaaten wie auch aus südosteuropäischen Nicht-EU-Staaten, oder auch, wie aktuell zu beobachten, aus der Ukraine, werden seit Jahrzehnten unter dem Stichwort „Armutszuwanderung“ abgewehrt.

Es folgt ein Auszug von Sammelabschiebungen, für die ganze Flugzeuge gechartert wurden:

Am 1.12.2021 nach Moldawien und Kosovo von Berlin.
Am 8.12.2021 nach Montengro von Hannover.

Am 15.12.2021 nach Serbien und Mazedonien von Karlsruhe. Unter den an diesem tag Abgeschobenen war eine schwer traumatisierte Romni. Sie ist eine Vertriebene des Kosovokriegs und vollkommen mittellos.

Zwei am 16.12.2021 (Gedenktag an die Deportation und Vernichtung von Sinti und Roma): Kosovo und Albanien von Düsseldorf; Moldawien von Berlin.

Nach wie vor finden Sammelabschiebungen statt. Hinzu kommen einzelne Abschiebungen und die Aufforderungen zur „freiwilligen Ausreise“.

Aktuell wird das Chancen-Aufentaltsrecht etabliert. Es soll Menschen die Möglichkeit geben, einen einjährigen Aufenthalt auf Probe zu erhalten, wenn sie am 1.1.2022 bereits mindestens 5 Jahre in Deutschland gelebt haben. Dies beinhaltet Chancen für Menschen, die sich hier eine Perspektive aufbauen wollen und das begrüßen wir. Und doch ist der konkrete Entwurf vor allem in Bezug auf Roma nicht ausreichend.

Ein Jahr auf Probe ist zu kurz. Die Zeit reicht für Menschen in komplexer Problemlage nicht aus, um eine langfristige, den Lebensunterhalt sicherstellende Arbeit zu beginnen. Das gilt für Roma aus den so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ insbesondere deshalb, weil diese seit Jahren strikten Arbeitsverboten nach § 60a Abs. 6 Nr. 3 AufenthG unterliegen und in der Regel von Integrations- und Sprachkursangeboten ausgeschlossen sind. Manche Menschen sind aufgrund von Traumata, Krankheit, Sorge für Kinder oder aufgrund eines hohen Lebensalters nicht in der Lage, sich innerhalb eines Jahres selbst zu finanzieren.

Ähnliches gilt für die Voraussetzung des 5-Jährigen „ununterbrochenen“ Aufenthalts im Bundesgebiet. Für Menschen, die die Politik der Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte in zirkuläre Migration zwang, in dem sie sie abschob und die Wiedereinreise mit Einreiseverboten verzögerte, ist eine ununterbrochene Aufenthaltsdauer von fünf Jahren formal nicht gegeben, obwohl sich diese Menschen zusammengerechnet seit Jahrzehnten in Deutschland aufhalten. Gleiches gilt für Personen, die in Deutschland geboren sind, abgeschoben wurden und wiederkommen.    

Hier wäre es dringend notwendig, eine gesetzliche Lösung zu entwickeln, die es ermöglicht, (Vor-)Aufenthaltszeiten auch durch Addition früherer Aufenthaltszeiten erreichen zu können, da es aufgrund der Exkludierung dieser Personengruppe in ihren jeweiligen „Herkunftsländern“ zu teilweise schwerwiegenden Entwurzelungsphänomenen kommt bei gleichzeitig hohem Grad an Bindungen an die Bundesrepublik.

Der Referent:innenentwurf zum Chancenaufenthalt/ Aufenthalt auf Probe nach §104c läuft ausschließlich auf einen Aufenthalt nach § 25b oder § 25a AufenthG hinaus. Dies ist besonders für Menschen in komplexen Lebenslagen und mit multidimensionalen Diskriminierungserfahrungen problematisch.

Die Überarbeitung des § 25a für gut integrierte Jugendliche hilft hier schon weiter, geht allerdings nicht weit genug. Förderschulbesuche- oder -abschlüsse, die aus Fehlentscheidungen der Schulverwaltungsämter resultieren, dürfen sich für die Jugendlichen nicht länger negativ auswirken. Die Förderschulabschlüsse müssen in allen Bundesländern als Schulabschluss anerkannt werden. Die Verlängerung von 21 auf 27 Jahre ist zu begrüßen genau so wie die Reduzierung der Dauer des geforderten erfolgreichen Schulbesuchs von vier auf drei Jahre. Grundsätzlich sollte jedoch auch die Altersgrenze für die Antragstellung herab gestuft werden, damit Kinder und Jugendliche den Antrag nicht erst mit 14 Jahren stellen können.

Besonders vulnerable Personengruppen werden aber weiter vom Aufenthalt ausgeschlossen bleiben. Viele Roma, die in den letzten 30 Jahren nach Deutschland geflohen sind, sind chronisch krank oder leiden an schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Posttraumatische Belastungsstörungen oder andere schwere psychische Erkrankungen infolge der Kriege in Jugoslawien und der Vertreibung aus dem Kosovo sowie des langjährigen Erlebens von Diskriminierung und sozialer Exklusion erschweren bis verunmöglichen eine Arbeitssuche und -aufnahme. Zu befürchten ist, dass die Praxis der Vergabe von Kettenduldungen bei diesen Menschen weiterhin praktiziert werden wird.


Roma, die über längere Zeiten ihrer Mutterschaft alleinerziehend waren oder nicht lohnarbeiten konnten, da sie die Care-Arbeit übernommen haben, können nur schwer im Berufsleben Fuß fassen und sind entsprechend benachteiligt.


Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien waren über viele Jahre in Duldung, hatten deshalb Arbeitsverbote und durften keine Integrations- und Sprachkurse besuchen oder eine Ausbildung machen. Folglich wurden sie gesellschaftlich abgehängt und haben es nach Aufhebung der Arbeitsverbote noch schwerer, angemessen vergütete Arbeit zu finden.

Manche Menschen haben das Rentenalter erreicht. Ihnen ist es nicht zuzumuten, noch für einen Aufenthaltsstatus arbeiten zu müssen.

Kinder, die ab 2014 in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht waren oder sind, konnten häufig monatelang keine regulären Schulen besuchen. Damit war ihnen keine gesellschaftliche Teilhabe möglich.

Es braucht hier positive Regelungen und Chancen zugunsten der Menschen. Dafür braucht es Garantien.

Ebenfalls in der Ampelkoalition diskutierte Vorhaben wie die »Rückführungsoffensive« sowie der Plan, irreguläre Migration zu reduzieren und reguläre Migration zu ermöglichen, lassen einen Perspektivwechsel für die migrantischen Roma pauschal nicht erwarten.

Die sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ sind für Roma alles andere als sicher. Daher werden die Menschen immer wieder nach Deutschland kommen. Eine reguläre Einreise ist ihnen meist nicht möglich. Die Wartezeiten auf Visatermine in den Botschaften sind für unqualifizierte Arbeit lang, werden zum Teil ausgelost. Manche sind mit Einreiseverboten belegt. Andere können sich eine Einreise und Arbeitssuche nicht leisten. Alle, die sich für ein Arbeitsvisum bewerben, sollen gleich behandelt werden, unabhängig von ihrer „Qualifikation“, ihrer Erfahrung oder ihrer Herkunft.

Wir sprechen von Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus. Bis heute ist die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Sinti und Roma wenig bis gar nicht in das öffentliche und geschichtspolitische Bewusstsein der Menschen vorgedrungen. Es wird in Schulen so gut wie gar nicht darüber gesprochen. Viele Menschen wissen nicht, wer Roma und Sinti sind und behelfen sich im Zweifelsfall mit Klischees, im schlimmsten Fall mit Rassismus und Abwehr. Rassismus gegenüber Roma und Sinti ist leider Alltag.

Deutschland hat eine Verantwortung, die sich aus der Geschichte ergibt. Wegen dieser Verantwortung und weil die Ausgrenzung von Roma viele historische Dimensionen hat, fordern wir ein Bleiberecht für Roma. Es ist möglich, dass einige Roma in die Regelungen passen, die jetzt beschlossen werden. Doch aufgrund der komplexen vulnerablen über Generationen reichenden Ausgrenzung ist es nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich, dass Roma weiterhin abgeschoben werden. Viele langjährig geduldete Roma werden auch durch den Chancen-Aufenthalt nicht aus der Duldung herauskommen, da sie ausgeschlossen bleiben. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Die hier aufgelisteten Geschichten von Menschen können als exemplarisch gesehen werden:

Seljveta und Selatin Islami lebten 30 Jahre im Landkreis Göttingen, bekamen Kinder und dann Enkelkinder. Am 30. Juni 2021 wurden sie nach Serbien abgeschoben, nachts um 3 abgeholt. Selvjeta Islamis Bruder Gani Rama wurde nach seiner Abschiebung in den Kosovo im Juli 2019 dort von einem Nationalisten ermordet. Der Mörder wurde zwar verurteilt, aber nach 6 Monaten aus der Haft entlassen. Wenn Seljveta und Selatin  zurückkommen (denn sie sind in Serbien obdachlos und getrennt von ihrer Familie), werden sie nach dem vorliegenden Referentenentwurf nicht diese Chance auf Aufenthalt bekommen – obwohl sie 30 Jahre in Deutschland gelebt haben.

Ein älteres Ehepaar (65 und 68) Jahre alt lebt zusammen mit seinen erwachsenen Töchtern und dem elfjährigen Enkel. Die jüngere Tochter ist schwerbehindert und benötigt rund und die Uhr Pflege, die ihre Eltern und Schwester besorgen. Obwohl sie auch selbst schwer krank und traumatisiert sind, sollen die langjährig geduldeten Eltern abgeschoben werden. Durch das Chancen-Aufenthaltsrecht werden sie voraussichtlich keinen Aufenthalt bekommen, da sie auch weiterhin ihre Tochter pflegen müssen und selbst nicht in der Lage sind, zu arbeiten. Die Tochter müsste nach der Abschiebung der Eltern in eine Pflegeeinrichtung eingewiesen werden.

Eine Romni ist als Kind vor 30 Jahren mit ihren Eltern aus Jugoslawien nach Deutschland geflohen. Sie hatte nie die Chance auf einen Aufenthalt. Vor einigen Jahren hat sie in Frankreich Asyl beantragt, der abgelehnt wurde. Danach ist sie zurück nach Deutschland gekommen, wo sie ebenfalls Asyl beantragt hat, der abgelehnt wurde. Durch ihren Aufenthalt in Frankreich hat sie keine fünf Jahre am Stück in Deutschland gelebt und fällt somit aus dem Chancen-Aufenthalt nach dem jetzigen Entwurf heraus, obwohl sie fast ihr ganzes Leben hier verbracht hat.

Weiterhin besteht das Problem, dass rassistische Verfolgung und kumulative Diskriminierung beim Bemühen um Asyl oder Aufenthalt nicht erkannt und anerkannt werden. Es wird in den Behörden nicht auf die deutlich erkennbaren Muster in den Biographien der Menschen geschaut. Viele haben Erfahrungen mit rassistischer Ausgrenzung und Gewalt gemacht. 

Zwei Beispiele:

13.02.2022: Eine Familie mit zwei kleinen Kindern wird nach Serbien abgeschoben. Nach der Ablehnung des ersten Asylantrags, sind sie vor drei Jahren nach Serbien „freiwillig“ ausgereist. Es kam wieder zu Übergriffen durch die Täter, vor denen sie bereits beim ersten Mal geflohen waren. Ihr 6jähriger Sohn wurde vergewaltigt. Die Familie floh daraufhin im Sommer 2021 erneut nach Deutschland. Ihr Folgeantrag wurde abgelehnt. Die Familie lebt in Angst, ohne Unterkunft und völlig mittellos in Serbien. Zwei der Vergewaltiger waren Söhne eines Polizisten.

Auch im folgenden Fall einer akut abschiebegefährdeten Roma-Familie aus Mazedonien war einer der Täter ein Angehöriger eines Polizisten: Familie A. ist im Sommer 2021 vor rassistisch motivierter Gewalt nach Deutschland geflohen. Die Frau und die Kinder wurden in ihrem Haus von Stadt bekannten Rassisten überfallen, die versuchten, die Mutter zu vergewaltigen. Die Polizei weigerte sich, eine Anzeige aufzunehmen. 10 Tage später haben dieselben Täter das Haus der Familie abgebrannt. Polizei und Stadt verweigerten der Familie Unterstützung. Ihr Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt. Rassistisch motivierte Gewalt und struktureller Rassismus wurden von BAMF und Gericht nicht erkannt.

Immer wieder beraten wir Menschen, die in politisches Asyl passen, aber abgelehnt werden. Weil ihre Berichte über erlebte rassistische Diskriminierung und verweigerten staatlichen Schutz nicht geglaubt werden.

Vor dem Hintergrund dieser und vieler weiterer Fälle, die uns seit vielen Jahren begleiten, schlägt der Bundes Roma Verbands folgende migrationspolitische Maßnahmen vor:

  • Vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung wäre es möglich, Roma als

Kontingentflüchtlinge nach § 23 AufenthG in Deutschland aufzunehmen. Über zweihunderttausend Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion konnten nach 1990 nach Deutschland kommen. Selbstverständlich ergibt sich aus der historischen Verantwortung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und deren Nachfahren, dass ihnen Schutz vor Verfolgung gewährt wird.

  • Solange Roma abgeschoben werden, brauchen sie echte Rückkehrberatungsstellen in den „ihren“ Herkunftsstaaten, um Dokumente zu erlangen, um sich über Möglichkeiten der Wiedereinreise nach Deutschland und in andere nordwesteuropäische Staaten zu informieren, zur Begleitung von Visaangelegenheiten. Sie müssen darüber informiert werden, welche Schritte sie gehen können, um regulär nach Deutschland einreisen zu können, wo sie z.B. geboren worden sind bzw. ihre Familie lebt.
  • Alle ausgrenzenden Einschränkungen, die mit dem Gesetz der „sicheren Herkunfts-staaten“ einhergehen (verkürzte Verfahren, kein Zugang zu Deutschkursen, Arbeitsverbote, Wohnsitzauflagen) müssen abgeschafft werden. Arbeit soll langfristig ermöglicht und Kinder sollen sofort in Regelschulen beschult werden.
  • Es braucht diskriminierungssensible Weiterbildung mit Schwerpunkt Migration von Roma für Behördenmitarbeiter:innen (z.B. Ausländerbehörde, Sozialamt, Jugendamt), Familienhilfen, Sozialassistenzen, Unterkunftsleitungen, Anwält:innen, Lehrkräfte, Justizpersonal etc. an. Hierfür braucht es strukturelle Förderung.
  • Sprachkundige und ausgebildete Anlaufstellen sollen die Asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren unabhängig überprüfen. Insbesondere Menschen, die sich in zirkulärer Migration befinden müssen beraten werden, um Papierlosigkeit und das Leben in dauerhafter aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit zu überwinden. Übergangsregelungen in ein Bleiberecht müssen ermöglicht werden, damit die Dauermigration nicht mehr die Zukunft der Kinder frisst.

Fazit:

Wir befürworten aus historischen und rassismuskritischen Gründen einen diskriminierungssensiblen und biografiebasierten Ansatz in der Migrationspolitik. Es braucht eine Anerkennung von struktureller Diskriminierung und Rassismus als Asylgrund. Nur durch eine solche Herangehensweise werden die Fehler der Vergangenheit vermieden. Wir halten es für essentiell nötig, langfristigere Chancen einzuräumen. Die Erteilung von unbefristeten Aufenthaltstiteln, Zugang zu Sprachkursen, Schule, Ausbildung, Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen, die Erlaubnis, eigene Wohnungen zu mieten sowie das Recht über den Ort der Wohnsitznahme selbst zu entscheiden, muss Teil einer wirklich humanitären Migrationspolitik sein. Wir brauchen ein bedingungsloses und uneingeschränktes Bleiberecht für Roma, die in Deutschland leben. Menschen, die abgeschoben wurden oder „freiwillig ausgereist“ sind und nicht dort leben können, wo sie jetzt sind, sollte die Möglichkeit gegeben werden, zu ihren Familien zurück zukehren. Sie kommen so oder so wieder. Irregulär, übrigens. Wenn es regulär nicht möglich ist. Wir alle haben mit dem Versuch dies zu verhindern, nichts gewonnen.

Göttingen, 11. Juli 2022

Ein kommentar

  1. Peter Rummel

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    als langjährig in der Integrationsarbeit Tätiger, als Mitarbeiter von Carmen e.V. Düsseldorf, aber auch als Deutscher ohne direkten eigenen Migrationshintergrund – abgesehen von der Binnenmigration meiner Eltern kurz nach und als direkte Folge des 2. Weltkrieges sowie angeheirateten Familienangehörigen bei mir und drei Geschwistern aus drei Erdteilen und unseren Kidnern – kann ich Ihre differenzierte Darstellung der Situation von Roma und den sich daraus ergebenden Forderungen sehr gut nachvollziehen.
    Als besonders wichtig halte ich, dass Sie die deutsche Regierung an deren Verantwortung für Roma erinnern.nIch selbst vertrete diese Haltung bei entsprechenden Diskussionen offensiv. So, wie die Bundesregierung sich in lobenswerter Weise für den Schutz der jüdischen Bevölkerung einsetzt und z. B. die Unterstützung des Staates Israel zur Staatsraison erhoben hat, müsste sie sich genauso für die Angelegenheiten von Roma einsetzen und Schutzgarantien übernehmen.
    Diesen Aspekt sollten wir sehr viel stärker in den Fokus der Politik und Mehrheitsgesellschaft rücken, damit Roma über den engen, komplizierten und angesichts der Vergangenheit und auch aktuellen Lage in den Herkunftsländern sichere lebens- und Zukunftsperspektiven in deutschland erhalten.

    Aber auch alle anderen Forderungen, die Sie formulieren, kann ich persönlich vertreten und tue es auch in meiner Arbeit.
    Mich freut auch, dass Sie die Lesung von Frau Bislimi in 2022 in Düsseldorf erwähnen, an deren Organisation und inhaltlicher Ausgestaltung ich neben den Vorsitzenden von Carmen e.V. maßegeblich beteiligt war.

    Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zru Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Peter Rummel

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