Bundes Roma Verband und Roma Center zum Beschluss des Bundestages gegen Antiziganismus
Die demokratischen Fraktionen im deutschen Bundestag haben einen gemeinsamen Antrag auf Grundlage des Berichts der Unabhängigen Kommission Antiziganismus Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation verabschiedet, der am 14.12.2023 im Parlament debattiert wurde. Zusammen mit weiteren Dachverbänden war der Bundes Roma Verband eingeladen, der Debatte beizuwohnen. Die Anhörung wurde gestreamt und kann hier angesehen werden.
Im Beschluss des Bundestages gibt es wichtige Ansätze, dem historischen und gegenwärtigen Unrecht gegen Roma und Sinti zu begegnen. Er bekennt dabei, dass die Selbstorganisationen für die Überwindung des Antiziganismus notwendig sind. In 27 Punkten stellt er dar, welche Maßnahmen die Bundesregierung umsetzen sollte, um die Situation in Deutschland, aber auch darüber hinaus, zu verbessern. Im Folgenden gehen wir – der Bundes Roma Verband und das Roma Center / Roma Antidiscrimination Network – auf einige Aspekte ein, die aus unserer Sicht besonders wichtig sind (wobei wir auch die anderen Punkte für notwendig halten).
Wir begrüßen, dass der deutsche Bundestag die Verantwortung anerkennt, welche die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Holocausts im NS-besetzten Europa (!) und des fortgesetzten Unrechts nach 1945 hat. Besonders erfreulich ist auch, dass der Bundestag die gravierende institutionelle Diskriminierung anerkennt, die Roma und Sinti in Deutschland nach wie vor erleben und die dem UKA-Bericht zugrunde liegende Studien in extenso nachgewiesen haben. Als besonders positiv ist hier die „kritische Auseinandersetzung mit Antiziganismus in den Sicherheitsbehörden und der Justiz“ (Punkt 19) und Fort- und Ausbildungsmaßnahmen in Bundesbehörden (Punkt 21) hervorzuheben.
Zur beschlossenen Aufarbeitung der Zweiten Verfolgung, also des Unrechts, das Roma und Sinti nach dem Zweiten Weltkrieg angetan wurde, gehört aus unserer Sicht selbstverständlich auch das Unrecht, das Roma bis heute erleben, namentlich die strukturelle und institutionelle Diskriminierung. Hier ist uns besonders wichtig, auf die seit mehr als 30 Jahre währenden Bleiberechtskämpfe von Roma zu verweisen, die seit ebenso langer Zeit politisch, medial, rechtlich und institutionell abgewehrt werden.
Die Aufarbeitung des nach dem Zweiten Weltkriegs begangenen Unrechts (Punkt 12) soll durch eine Kommission aufgearbeitet werden. Wir begrüßen diesen Schritt und empfehlen nachdrücklich, die Sicht der europäischen Roma und ihrer Selbstorganisationen in Deutschland einzubeziehen. Die Anerkennung der Verfolgung während des Zweiten Weltkriegs bezieht sich seitens Deutschlands bis heute im Wesentlichen nur auf das deutsche Gebiet, während die Verfolgung in den besetzten oder kollaborierenden Gebieten bis heute gar nicht oder nur marginal berücksichtigt wird. Dies spiegelt sich z.B. in der Tatsache wider, dass es kaum „Entschädigungszahlungen“ für die Verfolgten in diesen Gebieten gab bzw. gibt und in der Bundesrepublik weitgehend unbekannt ist, dass die heute hier lebenden bzw. nach Deutschland fliehenden oder migrierenden Roma Nachkommen dieser Verfolgten sind. Die gesamteuropäische Dimension der Zweiten Verfolgung ist daher bei der Aufarbeitung miteinzubeziehen.
Der „Bundestag sieht es als seine Aufgabe an“, die Roma vor rassistischer Diskriminierung zu schützen, die in den letzten Jahrzehnten „aus dem Westbalkan und Südosteuropa nach Deutschland gekommen“ sind (Seite 4). Ein Bleiberecht bzw. eine deutsche Staatsangehörigkeit für diejenigen von ihnen, die hier geboren sind, wäre aus unserer Sicht der beste Schutz vor Diskriminierung, sowohl hier als auch dort.
An dieser Stelle müssen wir auf einen zentralen Punkt verweisen, der im Beschluss nicht erwähnt wird. Er übernimmt weitgehend die in Deutschland gängige Bezeichnung „Sinti und Roma“ und nivelliert damit die Unterschiede innerhalb dieser Communities. Für migrantische Roma, die mittlerweile die Mehrheit der „Sinti und Roma“ in Deutschland darstellen, kommen – additiv und intersektional – Formen von Diskriminierung und Ausschluss hinzu, von denen Sinti als anerkannte deutsche Minderheit und in der Regel deutsche Staatsbürger:innen nicht betroffen sind.
Der Beschluss des Bundestages bietet für die angemessene Begegnung spezifischer Diskriminierungsformen, die für migrantische Roma Alltag sind, leider nur bedingt Ansätze. Zwar erwähnt er die Empfehlung der UKA, „in Deutschland lebende Roma aus historischen und humanitären Gründen als besonders schutzwürdige Gruppe“ (Punkt A, Seite 1) anzuerkennen, geht jedoch im Folgenden nicht weiter darauf ein. Der Beschluss nennt „eine Gleichstellung der von NS-Verfolgung betroffenen Sinti und Roma mit jüdischen Opfern der NS-Verfolgung in der Verwaltungspraxis“ (Punkt 15), jedoch wird hier nicht klar, ob sich das nur auf die selbst Verfolgten bezieht oder auch auf die Nachkommen. Aus unserer Sicht müsste hier z.B. eine rechtliche Gleichstellung der Roma aus den besetzten Gebieten mit den jüdischen Menschen aus der Sowjetunion erfolgen oder eine andere spezifische aufenthaltsrechtliche Regelung, die mit dem Bundes Roma Verband und anderen Organisationen der migrantischen Roma praktisch umgesetzt werden sollte.
Punkt 17 des Beschlusses sieht vor, „in Asylverfahren geflüchteter Roma Diskriminierungserfahrungen in Herkunftsstaaten im Rahmen staatlicher Strukturen und im Alltag“ zu berücksichtigen. Aus unserer Erfahrung, die sich auch in den entsprechenden Empfehlungen der UKA widerspiegelt, ist es hier besonders wichtig, dass alle Personen, die mit den Asylverfahren betraut sind, entsprechend geschult werden: von den Anhörer:innen des BAMF, über die Entscheider:innen, die Gerichte und schließlich im Anschluss an die Asylverfahren auch die Ausländerbehörden. Bei den Dolmetscher:innen ist dafür Sorge zu tragen, dass diese entweder aus der Roma-Community stammen oder aber besonders sensibilisiert sind. Auch hier empfehlen wir eine Zusammenarbeit mit den Selbstorganisationen der migrantischen Roma, um sowohl die Schulungen und Fortbildungen für die Mitarbeiter:innen der involvierten Behörden durchzuführen, als auch um geeignete Dolmetscher:innen zu finden und die Asylantragsteller:innen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen.
Es reicht jedoch nicht, das entsprechende Personal zu schulen und zu sensibilisieren, denn das Problem liegt nicht nur auf der individuellen Ebene der Sachbearbeiter:innen oder Richter:innen. Diese beziehen sich in ihren Entscheidungen auf die gegenwärtige Gesetzeslage (z.B. die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat) und auf Länderberichte, die häufig nicht die reale Situation der Roma in diesen Ländern widerspiegeln. Staatlicher Schutz von Roma ist in den südost- und osteuropäischen Ländern für Roma kaum vorhanden. Es gibt zudem eine große Diskrepanz zwischen rechtlicher Situation (z.B. weitgehende Minderheitenrechte oder Diskriminierungsschutz) und der Realität bzw. Praxis, in der es gravierende institutionelle und strukturelle Diskriminierung, ebenso wie gängige Diskriminierung im Alltag bis hin zu schwerwiegender rassistisch motivierter Gewalt (einschließlich Polizeigewalt) gibt.
Anknüpfend an die Situation in diesen Ländern, wäre zu Punkt 24 (Bekämpfung von Antiziganismus auf Ebene der EU) und 25 (Antiziganismus im Kontext der EU-Beitrittsverhandlungen) besonders wichtig, dass die Institutionen auf Bundes- und EU-Ebene nicht ausschließlich mit den Regierungen vor Ort kooperieren, sondern auch mit Roma-Selbstorganisationen, die z.B. ein realistisches Monitoring der Situation von Roma übernehmen können. Die EU-Beitrittsverhandlungen sind ein wichtiges Instrument, um die Rechte von Roma in den Beitrittsländern zu fördern. Die Verbesserung ihrer menschenrechtlichen und sozialen Situation muss eine Bedingung für einen EU-Beitritt sein. Die Verbesserung darf jedoch nicht nur auf dem Papier erfolgen, wie das derzeit oft der Fall ist, sondern muss praktisch umgesetzt werden. Hierfür bedarf es unabhängiger Kontrollmechanismen unter Einbindung der Roma-Selbstorganisationen.
Vielfach werden EU-Mittel für „Roma-Projekte“ genutzt, die nicht zielführend sind oder sich gar gegen Roma richten. Auch hier braucht es bessere Kontrollmechanismen und mehr Aufklärung, denn es werden hohe Summen in Projekte investiert, die die Situation von Roma in Europa verbessern sollen. Die Projektträger sind jedoch häufig nicht kompetent oder die Mittel werden zweckentfremdet und kommen nicht an den richtigen Stellen an. Dies führt dazu, dass der Hass gegen Roma in diesen Ländern weiter zunimmt, denn die Mehrheitsbevölkerung sieht, dass viel Geld in die „Integration“ von Roma investiert wird, deren Situation bleibt jedoch anhaltend schlecht. Statt die Vergabepraxen zu hinterfragen, wird die „Integrationsfähigkeit“ von Roma in Frage gestellt.
Der Bundes Roma Verband und das Roma Center / Roma Antidiscrimination Network sehen den Beschluss, der von allen demokratischen Fraktionen des Bundestages angenommen wurde, als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Bei der Umsetzung stehen wir weiterhin als Ansprechpartner:innen beratend zur Seite.
Göttingen, den 21.12.2023