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Veranstaltung im Bundestag und neue Experten-Kommission Bleiberecht des BRV

Veranstaltung im Bundestag und neue Experten-Kommission Bleiberecht des BRV

Das Roma Center und der Bundes Roma Verband (BRV) haben am 19. Februar 2024 die Veranstaltung Roma in Deutschland. Perspektiven schaffen im Bundestag durchgeführt.Ziel war und ist es, für zwei Gruppen von Roma endlich eine Bleiberechts-Perspektive zu schaffen: die langjährig Geduldeten und die Roma in erzwungener Dauermigration. Für sie soll der §23 Aufenthaltsgesetz angewendet werden. Mit der Umsetzung wird die Experten-Kommission Bleiberecht betraut, die der Bundes Roma Verband dafür gegründet hat.

Die Veranstaltung wurde unter der Schirmherrschaft des Bundestagsabgeordneten Helge Lindh (SPD) durchgeführt. Er und die Bundestagsabgeordnete Simone Koß (SPD) leiteten die Veranstaltung mit ihren Redebeiträgen ein, in denen sie bereits auf wichtige Punkte verwiesen. Eingeladen waren Personen aus Politik und Verwaltung aus den Bereichen Rechte der Sinti und Roma, Integration, Antirassismus u.a. Von politischer Seite nahmen vor allem Personen aus SPD und Grünen teil.

Sandra Goerend (Roma Center) hat einen Input zur Verfolgung der Roma in der Zeit des Nationalsozialismus gegeben und sich dabei v.a. auf die Verfolgung der Roma im besetzten Jugoslawien, der Sowjetunion und Moldawien bezogen.

Kenan Emini (Bundes Roma Verband) hat vor diesem Hintergrund der historischen Verantwortung Deutschlands – die Roma Europas sind Nachkommen der Opfer des Holocaust und manche gar selbst noch Überlebende – die menschenrechtlich desaströse Lage der langjährig Geduldeten, der Abgeschobenen und der Roma in Dauermigration in einer 30 minütigen Präsentation dargelegt und Möglichkeiten aufgezeigt, um Perspektiven für diese Menschen zu schaffen.

Im Zentrum steht dabei die Anwendung des §23 Aufenthaltsgesetz schaffen, so Emini, ähnlich wie er für die jüdischen Menschen aus der Sowjetunion angewandt worden ist.

Weitere Inputs zur prekären aufenthaltsrechtlichen Situation von Roma kamen von Sigmar Walbrecht (Flüchtlingsrat Niedersachsen) und Sebastian Rose (Komitee für Grundrechte und Demokratie), die auch darstellten, warum aktuelle Regelungen für diese Gruppen von Roma nicht greifen.

Allegra Schneider hat vier Beispiele von Roma beschrieben, die langjährig in Deutschland lebten und abgeschoben wurden. Sie hat die Konsequenzen und die Lage dieser Menschen in den angeblich sicheren Herkunftsländern beschrieben. Deutsche Behörden schieben dann Menschen ohne in Serbien anerkannte Identitätsnachweise ab. Dies produziert Papier- und Obdachlosigkeit. In Deutschland geborene Kinder können nicht angemeldet werden. Ein herzkranker Mann wurde trotz Warnung seiner Ärzte abgeschoben und starb 46jährig. Sein Großvater war während des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter in Serbien und Deutschland. Ein in Deutschland geborener und aufgewachsener Mann hat mehrere Abschiebungen erlebt, dann Schutz in Belgien erhalten und zahlt seine Steuern jetzt dort.

Die Umsetzung des §23 soll durch die Experten-Kommission Bleiberecht unter der Leitung des BRV vorbereitet und erarbeitet werden. Zu dieser Kommission gehören Roma-Organisationen, Anwält:innen, Menschenrechtler:innen, Historiker:innen und weitere Expert:innen.

Die Kommission muss zur wirksamen Umsetzung durch Politik und Verwaltung unterstützt und gefördert werden.

Wenn der §23 schließlich praktisch umgesetzt wird, beraten, unterstützen und begleiten die Roma-Organisationen und die Flüchtlingsverbände die Antragsteller:innen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte.

Der dritte Punkt der Veranstaltung umfasste die Verbesserungen, die im Bereich des Asylrechts umgesetzt werden sollten. Emini schlug hier vor allem Schulungen für Mitarbeiter:innen des BAMF, der Gerichte und anderer involvierter Behörden vor, sowie den Einsatz von Dolmetscher:innen aus der Community und die bessere Förderung von Roma-Selbstorganisationen, die die Antragsteller:innen beraten sowie die Berücksichtigung von Stellungnahmen der Expert:innen aus den Selbstorganisationen.

Zum Hintergrund:

Viele Roma, die vor den Kriegen in Jugoslawien geflohen oder nach dem Kosovokrieg 1999 aus der Region vertrieben worden sind, leben nach wie vor in aufenthaltsrechtlich prekärer Situation in Deutschland. Regelmäßig finden Abschiebungen statt – darunter auch von hier geborenen Kindern und jungen Erwachsenen, die in ihrem vermeintlichen Herkunftsland völlig fremd sind. Die Gründe dafür sind komplex. Zu den schweren Traumatisierungen durch die erlebten Kriege und die Marginalisierung kommen die gravierenden Folgen der langjährigen Desintegrationspolitik hinzu, die es für viele unmöglich machten, einen Aufenthaltsstatus zu erreichen.

Andere Roma aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern befinden sich seit Jahren oder gar Jahrzehnten in einer Situation der permanenten Migration. Sie haben häufig diverse Asylanträge sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern gestellt, sind aber überall unerwünscht und müssen wieder ausreisen oder werden abgeschoben. Auch in ihren Herkunftsländern können sie nicht bleiben, weil sie dort nichts mehr haben – ihre Häuser wurden zerstört oder von Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung in Besitz genommen – und komplexe Formen von Diskriminierung und Marginalisierung erleben. Hinzu kommt die zunehmende Bedrohung durch den immer stärker werdenden Rechtsextremismus in vielen europäischen Ländern.

Für beide Gruppe gibt es im Kontext der aktuellen aufenthaltsrechtlichen Praxis kaum angemessene Möglichkeiten, ein sicheres Leben zu führen. Sie befinden sich in einer Situation der permanenten Unsicherheit. Auf Abschiebungen folgen weitere Versuche, ein sicheres Leben in Deutschland zu führen. Auf diese folgt die nächste Abschiebung… Sie befinden sich in einem Teufelskreis, aus dem sie nicht ausbrechen können.

Einen sicheren Aufenthalt fordern wir seit vielen Jahren. Wir haben unzähliges Material dazu in die große Studie zu Rassismuserfahrungen von Roma und Sinti („Unter Verdacht“), die von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus in Auftrag gegeben worden war, eingebracht. Aus dieser Studie ist eine der zentralen Empfehlungen der UKA hervorgegangen: Roma in Deutschland aus historischen und humanitären Gründen als besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen.

Diese Empfehlung wurde in den im Dezember 2023 beschlossenen Antrag der demokratischen Fraktionen im Bundestag aufgenommen, der sich in Teilen auf einige UKA-Empfehlungen im Bereich Aufenthaltsrecht und institutionelle Diskriminierung bezieht. Unsere Anmerkungen dazu sind hier nachzulesen.

Olga Gerstenberger war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Studie „Unter Verdacht – Rassismuserfahrungen von Rom:nja und Sinti:zze in Deutschland“ und hat bei der Veranstaltung die in der Studie erarbeiteten Diskriminierungserfahrungen von Roma im aufenthaltsrechtlichen Bereich skizziert und die daraus abgeleiteten Empfehlungen vorgestellt.

Die Positionen:

Eine Person vertrat die Position, dass auch für die Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ eine Einzelfallprüfung beim Asylantrag erfolge. Dieses immer wieder vorgebrachte „Argument“ stimmt jedoch nur insofern, als die Menschen eine Anhörung bekommen, bei der sie ihre Asylgründe darlegen können. Auch wenn die Verfolgung und der nicht vorhandene staatliche Schutz detailliert nachgewiesen werden können, werden die Asylanträge in so gut wie allen Fällen abgelehnt, denn es wird hier auf das Scheinargument zurückgegriffen, in Ländern, die als „sicher“ eingestuft wurden, gebe es grundsätzlich staatlichen Schutz.

Die anwesende Anwältin für Asylrecht, Barbara Dubick, sieht in der Anwendung des §23 eine gute Möglichkeit, ein sicheres Bleiberecht für die Roma in Dauermigration zu schaffen und dadurch einen guten Weg zur Integration zu ermöglichen. Sie erwähnte, dass sowohl sie als auch andere Fachanwält:innen keine asylrechtlichen Fälle aus den „sicheren Herkunftsstaaten“ mehr übernehmen, da die Fälle nicht zu gewinnen seien.

Der Bundesbeauftragte gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, kritisierte, dass die aktuelle politische Richtung die gegenläufige Tendenz zu dem darstelle, was die UKA empfehle, also dass Roma gerade nicht als „besonders schutzwürdige Gruppe“ behandelt würden. Ganz im Gegenteil.

MEP Romeo Franz bestätigte, dass die Anwendung des §23 notwendig sei. In Deutschland sei man weit davon entfernt, Antiziganismus ähnlich stark zu gewichten wie Antisemitismus  – trotz der gleichen historischen Verantwortung gegenüber beiden Völkern. Er hat noch einmal betont, wie wichtig es sei, dass man sich nicht auf Empfehlungen ausruhe, sondern diese in Gesetze zu gießen seien, da die Menschen nur so ihre Rechte einklagen könnten.

Markus End (Mitglied der Unabhängigen Kommission Antiziganismus) hat die historische Verantwortung Deutschland betont und dass es in erster Linie eine politische und nicht eine rechtliche Frage sein müsse, die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, umzusetzen.

Jasna Čaušević, langjährige Mitarbeiterin für Genozid-Prävention bei der Gesellschaft für bedrohte Völker hat zum Schluss nochmal die doppelte Verantwortung Deutschlands betont: die für den Völkermord in der Zeit des Nationalsozialismus und die für den Umgang mit den Roma aus dem Kosovo, die auch in Deutschland institutionell diskriminiert werden. Sie betont, wie wichtig eine Lobby sei, die dafür eintrete, die Situation zu verändern und dass Gesetze auch da seien, um sie zu ergänzen und zu ändern.

***

Die Veranstaltung fand am 19. Februar statt. Die Anwesenden haben der neun Menschen gedacht, die vor vier Jahren bei dem rechtsextremen Terroranschlag in Hanau ermordet wurden. Unter ihnen waren drei Roma.

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