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Stellungnahme des Bundes Roma Verbandes zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern und für Heimat

Stellungnahme des Bundes Roma Verbandes zum Referentenentwurf des
Bundesministeriums des Innern und für Heimat

Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts

Der Bundes Roma Verband, die Dachorganisation der migrantischen Roma in der Bundesrepublik Deutschland, begrüßt die Verbesserungen, die der Referentenentwurf vorsieht, vor allem die Möglichkeit der Mehrstaatigkeit, bei anderen Elementen sieht der Verband Änderungs- und Verbesserungsbedarf, den er im folgenden darstellt.

Zunächst sei an dieser Stelle auf die zentralen Forderungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) verwiesen. Unter dem Titel Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation hat die UKA 2021 ihren Bericht vorgelegt. Dessen zentrale Forderungen wurden bis dato weitgehend weder aufgenommen noch umgesetzt. Eine zentrale Forderung der UKA lautet:

»Allen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Rom:nja die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit, den Zustand der Staatenlosigkeit gilt es abzuschaffen.« (S. 502).

1. Diejenigen Roma, die Hoffnungen auf Verbesserungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes gesetzt haben, sind im Wesentlichen Roma aus den sogenannten Westbalkanländern Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Mazedonien und Albanien. Zum Beispiel: viele Roma aus dem Kosovo leben heute in der Diaspora: verstreut in Europa, darunter auch in Deutschland, zum Teil im Zustand der permanenten Migration. Aufgrund der Vertreibungen und Land- und auch Hausraubs gibt es für sie kein Zurück in den Vorkriegsstatus. Insbesondere waren sie zum Zeitpunkt der Flucht nicht im Besitz von Personenstandsurkunden. Vielfach können sie nicht in ein Aufenthaltsrecht hineinkommen, weil kein Pass vorgelegt werden kann. Selbst wenn es ihnen gelungen ist, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, ist es ihnen nicht möglich, für die Verfestigung bzw. für die Einbürgerung die Identitätsklärung herbeizuführen.

Die genannten »Westbalkanstaaten« gehören nicht zur Europäischen Union. Die für EU-Bürger:innen geltenden Änderungen sollen daher im folgenden unberücksichtigt bleiben.

2. Als Folge

  • der bis heute unzureichend aufgearbeiteten Folgen des nationalsozialistischen
    Genozids an den Roma Europas,
  • des Auseinanderbrechens Jugoslawiens und
  • der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren sowie der Vertreibung der Roma aus dem Kosovo (1999)

sind tausende Roma vor Diskriminierung, Ausgrenzung, physischen Übergriffen und Bedrohungen und vor drohender Verelendung nach Deutschland geflohen. Tausende Roma aus den o.g. Staaten Ex-Jugoslawiens leben heute in Deutschland, viele von ihnen seit über zwanzig bis dreißig Jahren und bereits in zweiter, teils in dritter Generation.

Weil die Verfolgung und Ausgrenzung von Roma in den Balkanstaaten von den deutschen Behörden und Gerichten in der Regel als nicht asylrelevant abgetan wurde und wird, sind viele von ihnen bis heute nur geduldet. Diejenigen, die ein Aufenthaltsrecht erlangen konnten, haben meist Aufenthaltstitel, die

  • wegen gesundheitlicher Abschiebungshindernisse nach §§ 25 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60 Abs. 7 AufenthG oder 25 Abs. 5 AufenthG erteilt wurden
  • aufgrund der Tatsache, dass sie faktische Inländer:innen sind gem. § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK erteilt wurden
  • aufgrund von Entscheidungen der Härtefallkommissionen der Länder gem. § 23a AufenthG erteilt wurden
  • aufgrund von Bleiberechtsregelungen gem. §§ 23 Abs. 1 a.F., 104a oder seit kurzem § 104c AufenthG erteilt wurden.

3. Alle vorgenannten Aufenthaltstitel berechtigen nach der bisher geltenden Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes nicht zu einer Einbürgerung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG).

Eine Änderung dieser Ausgrenzung bestimmter Personen vom Recht auf Einbürgerung ist im Referentenentwurf nicht vorgesehen.

Ferner ist in der bisher gelten Fassung des Staatsangehörigkeitsgesetzes nicht vorgesehen, dass Zeiten des geduldeten Aufenthalts irgendeine Bedeutung für den Einbürgerungsanspruch haben. In § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG wird ausschließlich auf die Zeit des rechtmäßigen Aufenthalts Bezug genommen.

Gerade bei Roma aus den o.g. Balkanstaaten sind lange Duldungszeiten – teilweise zehn Jahre und mehr – vor der Erteilung der ersten Aufenthaltserlaubnis eher die Regel als die Ausnahme.

Auch hinsichtlich der Anrechnung von Duldungszeiten ist eine Änderung dieser Ausgrenzung bestimmter Personen vom Recht auf Einbürgerung im Referentenentwurf nicht vorgesehen. Durch das aufenthaltsrechtliche Abdrängen von Menschen in Dauermigration haben viele zwar lange Aufenthaltszeiten in Deutschland – jedoch nicht am Stück, sondern immer wieder oder mehrfach unterteilt. Addiert kämen sie auf die nötigen Voraufenthaltszeiten, jedoch werden diese immer wieder durch unfreiwillige Ausreisen unterbrochen.

In der Debatte um die Ausgrenzung von Roma wird mitunter argumentiert, jedenfalls über Aufenthaltserlaubnisse nach §§ 25a und 35 AufenthG für Kinder, und § 25b AufenthG für Erwachsene sei ein »Upgrade« der Aufenthaltserlaubnis zu einem »einbürgerungsfähigen« Aufenthaltstitel möglich.

Dabei wird übersehen, dass für diesen Aufenthaltstitel ein Mindestalter erreicht sein muss: 14 Jahre bei § 25a AufenthG, 16 Jahre bei § 35 AufenthG, und für § 25b AufenthG ist faktisch Volljährigkeit erforderlich.

Hinzu kommt, dass jedenfalls nach dem Wortlaut der §§ 25a und 25b AufenthG für diese Titel ein geduldeter Aufenthalt zwingende Voraussetzung ist. Wer also jahrelang bereits eine Aufenthaltserlaubnis nach anderer Rechtsgrundlage hat, z.B. nach §§ 23a, 25 Abs. 3 oder 5 AufenthG, kann bei streng am Wortlaut orientierten Auslegung die Aufenthaltserlaubnisse nach §§ 25a und 25b AufenthG gar nicht bekommen. In einigen Bundesländern wird auf der Verordnungsebene der Ausweg über die »juristische Sekunde« der Duldung eröffnet (z.B. Niedersachsen). Praktisch ist es allerdings oft unmöglich, in diesen Konstellationen ohne anwaltliche Hilfe einen »einbürgerungstauglichen« Aufenthaltstitel zu bekommen.

4. Im vorgelegten Entwurf sind gravierende Verschärfungen für Personen vorgesehen, die unverschuldet Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen. In den 16 Jahren CDU-geführter Regierungen hat es zu keinem Zeitpunkt derart einschneidende Verschärfungen des Einbürgerungsrechts gegeben.

Diese Verschärfungen betreffen vornehmlich Kinder, chronisch Kranke, pflegende Angehörige und Jugendliche und junge Erwachsene in Ausbildung.

Die alte, derzeit geltende Rechtslage:

§ 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG

Einzubürgern ist , wer …

»den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,«

Die letzte Alternative »deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat« ist bei Kindern fast immer gegeben. Kinder haben es nicht zu vertreten, wenn ihre Eltern – warum auch immer – nicht arbeiten.

Außerdem gibt es diverse weitere Gruppen von Personen, die die vollständige oder ergänzende Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht zu vertreten haben: Erwerbsunfähige Personen und pflegende Familienangehörige, aber auch Jugendliche und junge Erwachsene in Ausbildung, im Bundesfreiwilligendienst oder im Freiwilligen Sozialen Jahr.

Die Versuchung, zum Beispiel eine Ausbildung – ob schulisch oder betrieblich – aufzugeben, wird für Jugendliche und junge Erwachsene zunehmen, um kurzfristig ein höheres Einkommen nachweisen zu können. Zumal vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels hier Potenziale verschwendet werden.

Hingegen der Entwurf-StAG:

In Nummer 3 werden nach dem Wort »kann« ein Semikolon eingefügt und die Wörter »oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,« durch den folgenden Halbsatz ersetzt: »von dieser Voraussetzung wird abgesehen, wenn der Ausländer

a) auf Grund eines Abkommens zur Anwerbung und Vermittlung von Arbeitskräften bis zum 30. Juni 1974 in die Bundesrepublik Deutschland oder als Vertragsarbeitnehmer bis zum 13. Juni 1990 in die ehemalige Deutsche Demokratische Republik eingereist ist und die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht zu vertreten hat,

b) in Vollzeit erwerbstätig ist und dies innerhalb der letzten 24 Monate mindestens 20 Monate war oder

c) als Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner mit einer nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 Buchstabe b erwerbstätigen Person und einem minderjährigen Kind in familiärer Gemeinschaft lebt,«

Das ist erheblich enger als »oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat«.

Gem. Art. 7 UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind »das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben«. Das bedeutet für Kinder in Deutschland, das Recht, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben,

siehe Denkschrift der Bundesregierung zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes

https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93140/78b9572c1bffdda3345d8d393acbbfe8/uebereinkommen-ueber-die-rechte-des-kindes-data.pdf

dort S. 51:

»Absatz 1 gibt dem Kind ferner das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland kann dies nur als ein Recht auf Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgelegt werden, weil die Vertragsstaaten des vorliegenden Übereinkommens nach den Grundsätzen des Völkerrechts Regelungen nur für den Erwerb ihrer eigenen Staatsangehörigkeit treffen können.«

Nach dem Entwurf des StAG hingegen hat nicht mehr jedes Kind »das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben«, sondern nur noch Kinder, deren Eltern genug verdienen. Dies ist besonders rückschrittlich vor dem Hintergrund, dass gerade erst eine Verbesserung für Kinder eingeführt worden war:

§ 10 Abs. 3a StAG:

Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen.

Das bedeutet, dass z.B. Kinder aus Serbien, die nach dem Recht der Herkunftsstaaten der Eltern nur ausgebürgert werden können, wenn mindestens ein Elternteil ebenfalls ausgebürgert (d.h. de facto auch in Deutschland eingebürgert) wird, eigenständig auch ohne ihre Eltern in Deutschland eingebürgert werden konnten. In der Praxis sind das z.B. Konstellationen, in denen das minderjährige Kind eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat, weil ein Elternteil schwer krank ist oder ein deutsches Geschwisterkind hat. Im Anschluss daran ist es dem Kind dann gelungen, entweder eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten oder einen einbürgerungsfähigen Aufenthaltstitel.

Der Kreislauf aus prekärem Einkommen und fehlender deutscher Staatsangehörigkeit konnte so zumindest für die Kinder durchbrochen werden: Sie können unabhängig von der Einbürgerung der Eltern eingebürgert werden, was die Selbstsicherheit in der Schule und die Chancen bei der Ausbildungsplatzsuche entscheidend erhöht.

Ironie dabei: Diese Verbesserung wurde noch unter der Regierung Merkel und dem Innenminister Seehofer eingeführt.

Damit soll nach dem Willen der Ampel nun Schluss sein.

Mit den von allen Parteien so oft bemühten Kinderrechten dürfte das kaum vereinbar sein, insbesondere nicht mit dem Recht auf Erwerb einer Staatsangehörigkeit aus Art. 7 der UN-Kinderrechtskonvention.

5. Der vorgelegte Entwurf enthält nichts zum wachsenden Problem der de-facto-Staatenlosigkeit und dem daraus resultierenden Vorwurf von deutschen Behörden, die betreffenden Personen hätten eine ungeklärte Identität. Der juristisch unscharfe Begriff der »ungeklärten Identität« verhindert de facto die Einbürgerung.

Die Klärung der Identität ist derzeit nach der Rechtsprechung (Urteil vom 23.09.2020 – BVerwG 1 C 36.19 mwN) ein stark urkundenfixiertes Verfahren, das de facto weitgehend in der Hand der Behörde liegt. Zeugenaussagen werden nur als letztes Mittel angesehen (BVerwG aaO Rn 19).

Insbesondere bei Roma aus Ex-Jugoslawien der zweiten und dritten Generation sind zunehmend keine Dokumente mehr aus den Herkunftsstaaten der Eltern oder Großeltern zu bekommen. Auch weigern sich die Herkunftsstaaten oft, ab dem Überschreiten bestimmter Altersgrenzen den Betroffenen noch Geburtsurkunden oder Staatsangehörigkeitsbescheinigungen auszustellen. Hinzu kommt, dass viele Roma auch gar nicht in den Herkunftsstaaten registriert wurden, selbst wenn sie dort geboren wurden. Hierzu müssten sie zunächst nachregistriert werden. Dafür benötigen sie einen Wohnsitz in Serbien. Der gewöhnliche Aufenthalt ist aber in Deutschland. Eine Wohnsitzbegründung kann also nur zum Schein erfolgen.

Eine Anmeldung in Serbien zu erlangen, ist auch für Menschen, die dort leben, schwierig. Wer zur Miete lebt, bekommt häufig keine Erlaubnis vom Vermieter, sich dort anzumelden – wenn z.B. Mietverhältnisse nicht offiziell sind (oft bei Menschen ohne Papiere), oder Mieteinnahmen nicht versteuert werden. Auch mit der Vermietererlaubnis ist eine Anmeldung kompliziert: Meldeadressen werden zunächst (nach ein paar Wochen bis Monaten) von der Polizei überprüft. Manche Wohnräume, z.B. in Roma-Stadtteilen, werden nicht als Wohnraum akzeptiert – und dann ist es auch nicht möglich, sich dort anzumelden.

Wenn sie in Deutschland als Kind nicht-deutscher Eltern geboren werden, führen häufig Abschiebungen ohne internationale Geburtsurkunden etc. dazu, dass sie im Herkunftsland der Eltern nicht registriert werden können und in der Praxis keine Staatsbürgerschaft erlangen.

6. Nach Artikel 1 Nr. 11 des Entwurfs soll die Einbürgerungsurkunde im Rahmen einer öffentlichen Einbürgerungsfeier ausgehändigt werden.

Diese geplante Regelung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch:

Die Einbürgerung wird wirksam mit Aushändigung der Einbürgerungsurkunde (§ 16 Satz 1 StAG). Bisher fand diese Aushändigung nichtöffentlich im Zimmer von Sachbearbeitern statt.

Bereits jetzt dauern Einbürgerungsverfahren unverhältnismäßig lang. Meist wird den Antragstellenden bereits bei der Antragsstellung gesagt, dass sie mit einer Bearbeitungszeit von mindestens einem Jahr rechnen müssen, oft eher mehr. Aus diversen Regionen ist bekannt, dass dort die Antragstellung selbst erheblich behindert wird. So sieht etwa Sachsen ein obligatorisches persönliches Beratungsgespräch zu Beginn des Einbürgerungsverfahrens vor. Allein auf dieses Gespräch – für das eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich ist – wartet man monatelang. Erst nach diesem Gespräch wird überhaupt mit der Bearbeitung begonnen. Aus niedersächsischen Landkreisen ist bekannt, dass nicht selten Falschauskünfte erteilt werden, wie etwa dass eine Einbürgerung von Kindern ohne die gleichzeitige Einbürgerung der Eltern nicht möglich sei. Oft wird die Verweigerung der Herausgabe von Formularen als Machtmittel missbraucht und zugleich die Beratung darüber unterlassen, dass die Formulare in vielen Bundesländern online abrufbar sind, und dass die Verwendung von Formularen rechtlich nicht zwingend erforderlich ist.

Bereits jetzt sind die Einbürgerungsämter völlig unterbesetzt. Ein regionales Beispiel: Delmenhorst (78.000 Einwohner) und der Landkreis Friesland (99.000 Einwohner) etwa haben jeweils nur eine einzige Sachbearbeiterin für Einbürgerungen. Wenn diese Person krank oder in Urlaub ist, passiert faktisch keine Bearbeitung. Bei dem Verwaltungsgericht, das diese offenkundig zu langsame Verwaltung kontrollieren soll – dem Verwaltungsgericht Oldenburg – dauert das Verfahren bis zur gerichtlichen Entscheidung mindestens zwei Jahre. Andernorts gibt es ähnlich lange Bearbeitungszeiten.

Mit der obligatorischen Einbürgerungsfeier wird ein weiterer Faktor ins Verfahren eingebaut, der absehbar zu monatelangen Verfahrensverzögerungen führen wird. Es gibt  meist keine geeigneten Räume bei den Staatsangehörigkeitsbehörden für solche Feiern, und andere große Räume von Kommunen sind oft über Wochen ausgebucht.

Auch positive Beispiele von Einbürgerung werden mit den geplanten Feiern erschwert: So wird bisher in einbürgerungsfreundlichen Verwaltungen etwa für schwangere Mütter die Aushändigung der Urkunde kurzfristig vor der Geburt noch ermöglicht. Das vermeidet umständliche Einbürgerungsverfahren für die neugeborenen Kinder.

Öffentliche Einbürgerungsfeiern sind zudem datenschutzrechtlich bedenklich: Nicht alle Einbürgerungsbewerber:innen wollen, dass ihre Einbürgerung öffentlich verkündet wird.

Auf Roma, insbesondere als Nachfahren der Überlebenden des nationalsozialistischen Völkermordes und mit jahrelangen Diskriminierungserfahrungen im heutigen Deutschland können solche Einbürgerungsfeiern mit nationaler Symbolik zudem unsensibel wirken.

7. Der vorgelegte Entwurf enthält nichts zur Einbürgerungssperre bei Voreintragungen im Bundeszentralregister. Das bedeutet, dass es bei der heutigen Regelung des § 12a StAG bleibt. Danach ist mit einer Eintragung von mehr als 90 Tagessätzen Geldstrafe im Bundeszentralregister eine Einbürgerung de facto ausgeschlossen.

Insbesondere aufgrund des Buches von Ronen Steinke »Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich«, und aufgrund zahlloser anderer Veröffentlichungen ist inzwischen allgemein bekannt, dass gerade Strafbefehle ein hochproblematisches Mittel der »Verfahrenserledigung« in der Strafjustiz sind: Der Strafbefehl unterliegt nicht dem Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten«. Es genügt, wenn nach Aktenlage ein hinreichender Verdacht besteht (§ 408 StPO). Viele Betroffene legen keinen Einspruch ein, weil sie gerichtsunerfahren sind und nicht die finanziellen Mittel für einen Verteidiger haben. Bei Migrant:innen kommen oft Sprachprobleme hinzu: Viele Strafbefehle werden – entgegen deutscher und europarechtlicher Regelung – bis heute nicht mit schriftlicher Übersetzung mitgeteilt. (Generell würden viele Gruppen profitieren, wenn Behörden sich um leichte Sprache bemühten.) Selbst Justizminister Buschmann zeigte sich gegenüber der ARD kürzlich offen dafür, wegen dieser offenkundigen Probleme bei Strafbefehlsverfahren den Anspruch auf Pflichtverteidigungen auszuweiten, siehe

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/justiz-gerechtigkeit-100.html

Bis 2007 war die Obergrenze für einbürgerungshindernde Eintragungen im Bundeszentralregister bei 180 Tagessätzen.

Wir regen an, zu dieser Obergrenze – für deren Absenkung 2007 es nie wirklich eine Begründung gab – zurückzukehren und vor allem Strafbefehle, die ohne Gerichtsverhandlung rechtskräftig wurden, von der einbürgerungsverhindernden Wirkung auszunehmen.

8. Die Roma, die in Folge der Kriege in Jugoslawien und der Vertreibung aus dem Kosovo nach Deutschland geflohen sind, leben seit mehr als 20, manche gar seit über 30 Jahren in Deutschland. Ihre Kinder und teilweise schon ihre Enkelkinder sind als kleine Kinder nach Deutschland gekommen oder gar hier geboren. Ihre Sozialisation haben sie überwiegend oder gänzlich in Deutschland erfahren. Sie sind faktische Inländer:innen. Aufgrund des bisher geltenden Staatsangehörigkeitsrechts erhalten Kinder, die hier geboren sind, nicht automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Vielfach »erben« die Kinder den Duldungs-Status der Eltern, was sie in einer Situation permanenter Unsicherheit aufwachsen lässt, die schwerwiegende psycho-soziale Folgen für ihr Leben und damit auch ihre Perspektiven hat, die Voraussetzungen für einen Aufenthalt zu erfüllen. Regelmäßig haben wir es erlebt, dass sie im jungen Erwachsenenalter abgeschoben werden, da sie entweder keinen Pass haben und/oder noch keinen Schulabschluss absolvieren konnten. Dieses Problem wird sich durch den »Chancen-Aufenthalt« nur für einen Teil der Personen lösen lassen. Im Falle dieser Kinder und jungen Erwachsenen sollte aufgrund oben bereits erwähnter Problemstellungen und nachholender Gerechtigkeit das ius soli eingeführt werden. (Ein Kind, das auf dem Territorium der BRD geboren wird, ist deutsche:r Staatsbürger:in.)

Zuletzt sei des weiteren auf die zentralen Forderungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) verwiesen. »Allen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Rom:nja die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit, den Zustand der Staatenlosigkeit gilt es abzuschaffen.«

Göttingen, den 15. Juni 2023

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