
Das war der Bundes Roma Kongress 2025 in Berlin
Vom 16. bis 18. Mai 2025 organisierte das Roma Center zusammen mit dem Bundes Roma Verband den Bundes Roma Kongress in Berlin bereits zum dritten Mal rund um den Roma Resistance Day am 16. Mai. Die Veranstaltung fand im Grünen Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz statt und hat sich zu einer Plattform für den Austausch über die Situation und Perspektiven der Roma in Deutschland und Europa entwickelt. Im Jahr 2025 wurde der Kongress von einem besonders wichtigen Gedenktag begleitet: dem 80. Jahrestag der Befreiung Europas vom Nazi-Faschismus.

In unserer Eröffnungsrede, die Leonarda aus Dresden für uns verlas, ging es um die historische Dimension und den Bezug zu heute:
Am 16. Mai 1944 sollten alle bis dahin noch überlebenden Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau ermordet werden. Sie wurden jedoch gewarnt und leisteten der SS mit selbstgebauten Waffen erfolgreich Widerstand. Für uns ist der 16. Mai daher der Roma Resistance Day und steht auch heute für den Kampf gegen Verfolgung und Unterdrückung, Rassismus und Geschichtsvergessenheit.
Gerade heute, in dem politischen Klima, in dem wir leben, sind Erinnerung und Verantwortung für die Vergangenheit wichtiger denn je. Wir erinnern uns. Jedoch: In Deutschland, von dem der Holocaust ausging, und in den anderen Ländern Europas, ist die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Roma nicht besonders bekannt. Der Samudaripen ist der vergessene oder vielmehr: der ignorierte Holocaust.


Im folgenden Input sprach Orhan Tahir, Menschenrechtsanwalt und Journalist, über die 80 Jahre nach dem Samudaripen, darunter die weitere Verfolgung nach dem Krieg und über die Bemühungen der Überlebenden um Anerkennung.

Anschließend fand die Podiumsdiskussion zu den Nachwirkungen des Völkermords in Europa statt. Dr. Jane Weiß, Erziehungswissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin, Kenan Emini vom Roma Center und Bundes Roma Verband, Vicente Rodriguez von La Orden del Fenix und Daniela Abraham vom Sinti and Roma Holocaust Memorial Trust diskutierten über die aktuellen Herausforderungen und die noch offenen Fragen zur historischen Anerkennung und den politischen Folgen des Samudaripen.

Jane Weiß war Mitglied der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA), die erstmals systematisch Rassismus gegen Roma und Sinti in Deutschland wissenschaftlich untersuchen ließ und einen umfangreichen Bericht mit Empfehlungen vorlegte. Sie betrachtet die Umsetzung der Empfehlungen ambivalent. Positiv hob sie die Einrichtung der Bund-Länder-Kommission hervor, die strukturell wichtig sei, damit auf Bundesebene beschlossene Maßnahmen auch auf Landesebene ankämen. Die Empfehlungen zum Bleiberecht hingegen seien in den Diskussionen überhaupt nicht vorgekommen. Jane Weiß beschrieb den Umgang mit den betroffenen Menschen als „grausam und unwürdig“. Hinsichtlich Partizipationsstrukturen gebe es zwar Ansätze (z.B. Staatsverträge), jedoch bestehe hier viel Nachhol- und Diversitätsbedarf. Die Maßnahmen seien eher auf Sinti zugeschnitten.
Ein weiterer Punkt, der bis dato vernachlässigt werde, sind Entschädigungen. Der Umgang mit den Überlebenden nach 1945 beschrieb sie als „unfassbar skandalös“. Die Opfer standen den Tätern wieder gegenüber, die Schuld für die Verfolgung wurde den Opfern selbst angelastet. Entschädigung sollte es daher auch für die Nachfolgegeneration geben, die in dieser sehr prekären Situation aufwuchs und gleichzeitig die Elterngeneration gepflegt habe. Wahrscheinlich werde es jedoch keine Unrechtskommission (Wahrheitskommission)[i] geben, die das nach 1945 begangene Unrecht aufarbeite.

Kenan Emini sprach über die Verfolgung im besetzten Jugoslawien und die Kollaboration der Mehrheitsbevölkerungen verschiedener Gebiete, darunter etwa die serbischen Četniks, die kosovo-albanischen Freiwilligen der SS-Division Skenderbeg und vor allem der kroatischen Ustaša, die das Vernichtungslager Jasenovac betrieb und dafür sorgte, dass im kroatischen Gebiet kaum jemand aus der Roma-Community überlebte. Emini sprach auch über die Spaltung innerhalb der Community, die auf dem World Roma Congress 1981 in Göttingen erfolgte. Die Abspaltung der Sinti auf dem Kongress führte im folgenden Jahr dazu, dass die Bundesregierung sich bei der Anerkennung des NS-Völkermords an den „Sinti und Roma“, auf die deutschen Sinti beschränkte. Diese halbherzige Anerkennung hatte dann weitreichende Folgen, die wir bis heute spüren: Die Roma, die ab Ende der 1980er Jahre aus den postsozialistischen Staaten vor Krieg, Rassismus und Nationalismus flüchteten, wurden in Deutschland nicht als Opfer des Völkermords und deren Nachkommen wahr- und aufgenommen, sondern es folgte eine Politik gegen flüchtende Roma, die bis heute anhält.

Daniela Abraham, die aus der Slowakei stammt, aber in Großbritannien lebt, sprach über ihre eigene Familie, die im Holocaust verfolgt wurde, aber auch über andere Verfolgte, darunter eine Überlebende aus Berlin, die in London lebt, nämlich Elsa Baker. Daniela Abraham warnte auch vor dem zunehmenden Rechtsextremismus, der sowohl in England als auch in anderen europäischen Ländern einer Normalisierung unterworfen sei. Sie sprach auch über die Arbeit von Dr Lynne Tammi-Connelly zur Verschleppung von Kindern aus Traveller-Familien aus dem Vereinigten Königreich nach Kanada und in die Kolonien, um dort auf Farmen zu arbeiten.

Vicente Rodriguez sprach über die Situation in Spanien während des Spanischen Bürgerkriegs und unter Franco, aber auch das Gedenken in Spanien.



Am 17. Mai 2025 wurde in einer weiteren Podiumsdiskussion die Frage erörtert, wie Maßnahmen gegen Diskriminierung in der aktuellen politischen Situation aktiv umgesetzt werden können und wie es mit der weiteren Umsetzung der Empfehlungen aus der UKA weitergeht. Dazu sprachen wir mit MdB Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) über die Bundes- und mit Alina Voinea, Ansprechperson für Antiziganismus des Berliner Senats, über die Landesebene.


Am Abend des 17. Mai fanden in einer zweirundigen Podiumsdiskussion die Situationen und Perspektiven der Roma in Deutschland ihren Platz. In dieser Sitzung, die von Estera Sara Stan (Kombinat e.V., RomaniPhen e.V.) moderiert wurde, kamen zahlreiche Vertreter:innen der Roma-Selbstorganisationen zu Wort. Zunächst sprach sie mit Kjemal Ahmed (Zentraler Wohlfahrtsverband der Roma und Sinti in Deutschland, Pro Sinti und Roma), Selhone Gasnjan und Zumreta Sejdović (Romani Kafava) über die Situation der geflüchteten Roma aus der Ukraine. Diese Menschen erleben vielfach institutionelle Diskriminierung und Rassismus, Ausschlüsse von Bildung und Arbeit. Die meisten leben nach wie vor in Lagern und Unterkünften. Gehäuft kommt es zu Kindesentzügen. Es fehlt an Sensibilisierung. Ebenso wie die geflüchteten Roma aus Jugoslawien hängt das Stigma an ihnen, sie seien keine „echten Geflüchteten“. Leonarda Bajrić sprach über ihre eigene Situation als junge Romni, die weitgehend in Deutschland aufgewachsen ist, aber nach wie vor um ihr Bleiberecht kämpft. Sie engagiert sich in der Gruppe gegen Antiromaismus in Dresden und baut zusammen mit ihrem Bruder eine Jugendgruppe auf.



In der zweiten Runde sprach Dzoni Sichelschmidt (ROMED Deutschland e.V.) über die komplette Diskriminierung von Roma-Kindern im Bildungssystem und die Notwendigkeit, die Kinder zu stabilisieren und ihr Selbstwertgefühl zu stärken, aber auch das Schulpersonal fortzubilden. Auch Radoslav Ganev von Romanity e.V. sprach über die strukturellen Hürden im Bildungssystem, allerdings hier eher im Hochschulstudium. Renata Conkova (RomnoKher Thüringen e.V.) ging auf die zunehmen schwierige Lage in Thüringen ein, wo es auch zu einer Zunahme an institutionellem Rassismus und körperlicher Übergriffe kommt. Riccardo M. Sahiti, Vorsitzender und Dirigent der Roma und Sinti Philharmoniker e.V. sprach über das große Erbe der Roma in der Weltmusik.
Neben den öffentlichen Diskussionen fanden auch Vernetzungstreffen und Workshops statt, die für Angehörige von Roma-Selbstorganisationen und Mitglieder der Roma-Community angeboten wurden. Dabei ging es insbesondere auch um den zunehmenden Druck durch die extreme Rechte sowie die Notwendigkeit, auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten und wie der Schutz der Community sichergestellt werden kann.

[i]Während und im Anschluss an den Bundes Roma Kongress 2024 haben die beteiligten Organisationen einen Katalog mit Themen ausgearbeitet, die Teil der Wahrheitskommission sein sollten. Dieser wurde an den damaligen Antiziganismusbeauftragten gesandt und ist hier abrufbar: https://ran.eu.com/aufarbeitung-der-verfolgung-von-roma-und-sinti-nach-dem-zweiten-weltkrieg/